Rezension: Edward W. Said "Representations of the Intellectual: The 1993 Reith Lectures", Pantheon Books, 1994

Veröffentlicht am: | Online: 28 Juli 2024
Edward W. Said "Representations of the Intellectual: The 1993 Reith Lectures", Pantheon Books, 1994

Edward Said, selbst ein kämpferischer und umstrittener Intellektueller, begibt sich im Buch auf die Suche nach der Definition eines Intellektuellen. Das Buch entstand aus sechs Vorträgen, die von BBC ausgestrahlt wurden. Viele Probleme und Thesen, die Said kommentiert, haben ihre Relevanz nicht verloren. In der Einführung berichtet er viel über den Druck, die seine Herausgeber und Sender wegen seiner Position zum Nahostkonflikt konfrontieren, um seinen Auftritt zu verhindern. Es gibt kaum ein Thema, wo die Aussage einer Person einfach widergeben wird. Man muss zuerst den dichten Nebel der Kommentaren und Zuschreibungen von Dritten durchdringen, bevor man zur eigentlichen Aussage kommt.

Zwei Themen sind im Buch besonders präsent, nämlich die innere Haltung eines Intellektuellen und seine Beziehung zur Macht. Bereits in seiner Einführung schreibt Said, dass ein Intellektueller gesellschaftliche Änderungen einleiten wolle, aber mit Institutionen wie Presse, Regierung, Unternehmen usw. konfrontiert sei, die eine Veränderung erschweren. Wenn man absichtlich zu keiner der genannten Institutionen gehöre, könne man direkt nichts bewirken und bleibe stattdessen ein Zeuge von Missständen, von denen ansonsten keiner berichten würde (S. xvii).

Aber es reiche nicht, wenn ein Intellektueller dabei bleibe, die Enteignungen, Unterdrückung und Massaker, die eigener Gruppe zugefügt wurden, zu beschreiben, ohne dabei Bogen zu den Leiden von Anderen zu spannen (S. 44). Die Buren nutzten ihre Lage während des britischen Kolonialismus, um dann Apartheid-Regime zu rechtfertigen (S. 45). An der Haltung zum Anderen scheitern viele Intellektuelle, wie am Beispiel vom klassischen Denker des europäischen Liberalismus Alexis de Tocqueville deutlich wird. In seinen Werken kritisierte de Tocqueville das Vorgehen der USA gegen die indigene Bevölkerung. Als er selbst dann im kolonialen Algerien eine Amtsperson war, begründete er die brutale koloniale Politik der Franzosen mit der nationalen Ehre und Inferiorität der Algerier (S. 92).

Was die innere Haltung betrifft, so stehe ein Intellektuelle zwischen zwei Extremen: Einerseits könne er zu freundlich und kooperativ sei und andererseits zu kontrovers. Beide Fälle sind suboptimal, denn im ersten Fall könne er keine Diskussion anstoßen, im zweiten werde er wenig wahrgenommen. Ein Intellektueller lebe schließlich in einer Gesellschaft und solle sich Gehör verschaffen (S. 69). Said zeigt, wie schwierig es ist, diesen Pfad zu gehen, indem er Russel Jacoby zitiert. Jacoby beschwert sich, dass die unabhängigen Autorinnen und Autoren, die durch ihre publizistisch Tätigkeit ihr Brot verdienten, nach und nach in den Universitäten verschwanden, wo sie dann sich eines akademischen Jargons bedienten, die einem breiten Publikum nicht zugänglich war. Oder sie flohen vor ihrer Gesellschaftlichen Verantwortung ganz im Sinne der 'Beat Generation', die konventionelle Lebensweise und gesellschaftliche Pflichten ablehnten.

Said sieht einen weiteren Druck in Form von Spezialisierung und nennt als Beispiel das eigene Forschungsfeld - Literatur. Man konzentriere sich auf reine Theorie, ohne den gesellschaftlichen Kontext und weitere relevanten Bereiche, wie Politik und Kunst hinzuziehen (S. 77). Die Spezialisierung ist für Said eine Art der Flucht von der Verantwortung, da oft komplexen und verklausulierten wissenschaftlichen Texte nur ihretwegen geschrieben wurden und nicht aus genuinem Interesse oder um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Ein Teil des Problems der Spezialisierung besteht für Said auch darin, dass diese oft im politischen Betrieb missbraucht sei, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, wenn man nicht durch 'richtige' Autoritäten und Institutionen (S. 79-80).

Die Spezialisierung führe weiterhin zur Tendenz, sich an die Machtzentren und Autoritäten zu orientieren erlaube Behörden, wie dem Verteidigungsministerium oder Außenministerium der USA, Forschung zu finanzierten und zu lenken (S. 80). Die Zivilgesellschaft stand unter dem Druck und Zwang der Zentralisierung. In den USA hätten sich die politischen Kräfte um die Demokratische und Republikanische Partei konzentriert. Die diversen Wirtschaftslobbyisten, wie aus der Öl- oder Waffenindustrie und große Stiftungen wie Rockefeller, Ford und Mellon engagieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, stellten diesen dann Stipendien, Forschungsgelder und nicht zuletzt Anerkennung und beruflichen Aufstieg zu Verfügung. Dies sei in einer kapitalistischen Wirtschaft und liberalen und demokratischen Gesellschaft als Solches akzeptabel, werfe allerdings die Frage auf, ob die Gedankenfreiheit dadurch gewährleistet ist und daduruch die Konformität gefördert wird (S. 81).

Die Antwort auf die Spezialisierung bestehe darin, nicht diese unter den Teppich zu kehren, sondern diese durch andere Werte und Prioritäten zu konfrontieren. So etwas nennt Said "amateurism", eine Aktivität, die durch Fürsorge und Affinität und nicht durch Gewinn oder eigene Spezialisierung bedingt sei (S. 82). Die Intellektuellen tendieren zum Konformismus und oft zielen auf den designierten Feind. Als bekennender Säkularist kritisiert Said, dass sich die Intellektuellen islamischer Fundamentalismus fokussierten, weil dieses Thema ungefährlich sei. Dieser Konformismus und fehlende Bereitschaft, eigene Stelle in Gefahr zu bringen, sieht Said als ein Problem.

Am Ende spricht er von den "Göttern, die immer scheitern" und meint damit die großen Ideen, denen sich manche Intellektuelle verpflichtet fühlen. Für Said ist ein Intellektuelle immer bereit, den eigenen Standpunkt und Überzeugung zu hinterfragen. Derjenige, der das nicht macht, verpflichtet sich den Göttern, die immer scheitern werden.