EU–Aserbaidschan: Nicht nur Energiepartner

Politische Reformen und friedliche Konfliktbearbeitung sollten mehr Gewicht bekommen

Veröffentlicht am: 01 февраля 2011 | Online: 21 февраля 2023

Die Außenpolitik der Europäischen Union (EU) gegenüber Aserbaidschan ist sowohl werte- als auch interessenbezogen und bewegt sich insofern in einem Spannungsfeld. Das Land in der östlichen Nachbarschaft der EU tritt als strategischer Energiepartner hervor. Europäische Interessen im Südkaukasus werden maßgeblich von dem Anliegen definiert, die eigene Energieversorgung zu diversifizieren. Im Verhältnis zu dem größten Land in dieser Region sollte die EU aber nicht den Eindruck erwecken, dass sich ihre Aufmerksamkeit auf dieses Kooperationsfeld beschränkt und Themen wie friedliche Konfliktlösung und politische Reformen dahinter zurückstehen.

Besuche aus Brüssel in der Ukraine und in Aserbaidschan steckten zu Beginn des Jahres 2011 die Bandbreite von Zielen und Interessen ab, in der EU-Politik in ihrem östlichen Nachbarschaftsraum agiert. In Kiew stellte der Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik, Štefan Füle, klar, dass die Verankerung demokratischer Werte eine Grundvoraussetzung für die Annäherung der Ukraine an die EU bilde. Er zeigte sich besorgt darüber, dass sich der an Fläche und Bevölkerung größte Staat der östlichen Nachbarschaft angesichts wachsender Demokratiedefizite derzeit eher von der EU wegbewegt statt sich ihr zu nähern. In Baku festigten derweil Kommis- sionspräsident José Manuel Barroso und Energie-Kommissar Günther Oettinger die

Energiepartnerschaft mit Aserbaidschan. Sie unterzeichneten am 13. Januar eine gemeinsame Erklärung zur strategischen Zusammenarbeit auf diesem Feld.

Unter den sechs Staaten Osteuropas und des Südkaukasus, die Brüssel mit seiner Initiative der Östlichen Partnerschaft (EaP) anspricht, stellt Aserbaidschan in drei Punkten eine Besonderheit dar. Erstens ist es in dieser heterogenen Ländergruppe der einzige relevante Produzent von Erdöl und Erdgas. Zweitens nimmt es mit der dynastischen Herrschaftsübertragung innerhalb der Alijew-Familie eine Sonderstellung in der Entwicklung autokratischer Macht- strukturen im postsowjetischen Raum ein. Es stellt damit für Demokratieförderung eine spezielle Herausforderung dar. Drittens ist es unter den sechs Partnerländern das einzige mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Das Land kann sich auf eine beeindruckende Tradition von religiösem Pluralismus und Säkularisierung berufen. Das Verhältnis zwischen Staat und Religion steht aber wie in anderen post-sowjetischen Gesellschaften unter starkem Druck – Anfang 2011 durch einen eskalierenden Streit über ein Verschleierungsverbot an Schulen. Zu diesen Besonderheiten tritt eine entscheidende sicherheitspolitische Herausforderung hinzu, die auch von anderen Teilen des Südkaukasus ausgeht und diese Region durch den russisch-georgischen Krieg im August 2008 in die Weltpolitik katapultiert hat: die Gefahr, dass ungelöste Sezessionskonflikte erneut in Kriege eskalieren. Der seit dem Ende des Karabachkriegs 1994 schwelende Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien stellt eine Herausforderung in der östlichen Nachbarschaft der EU dar.

Wirtschafts- und Regionalmacht

Kein Land im GUS-Raum wies vor der welt- weiten Finanzkrise so hohe Wachstumsraten auf wie Aserbaidschan. Das mit über acht Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land im Südkaukasus verzeichnet auch das größte Wirtschaftswachstum, das überwiegend rohstoffgetrieben ist. Aserbaidschan brüstet sich, rund zwei Drittel der Gesamtwirtschaft dieser Region zu bestreiten. Vor der globalen Finanzkrise lagen die jährlichen Wachstumsraten teilweise bei über 25 Prozent. In der Krise erfuhr diese Dynamik einen Dämpfer. Für die Periode 2011–15 werden »nur« noch Wachstums- raten von etwa 4,5 Prozent erwartet. Laut offiziellen Angaben konnte Aserbaidschan unter Präsident Ilham Alijew seine Armuts- quote deutlich reduzieren, von über 40 Prozent vor 2003 auf 11 Prozent im Jahr 2010. In den letzten Jahren verbesserte es auch seine Position in Indizes, die den Grad wirt- schaftlicher Freiheit messen. Im »Index of Economic Freedom 2011« der Heritage Foundation rangiert es auf Platz 92 vor

Russland (143) und der Ukraine (164), aber hinter seinen Nachbarn Armenien (36) und Georgien (29). Einer weiteren Öffnung der Wirtschaft für auswärtige Investoren stehen Hindernisse wie systemische Korruption und formale wie informale Monopole in vielen Sektoren entgegen. In der Initiative der Östlichen Partnerschaft bildet die Annäherung an den EU-Markt eine Priorität. Ziel der Initiative ist es, die Partnerländer bei der Angleichung an EU-Stan- dards zu unterstützen, ohne ihnen eine Beitrittsperspektive zu bieten. Die seit 2010 verhandelten bilateralen Assoziationsabkommen mit den östlichen Nachbarn sehen eine umfassende Freihandelszone vor, die mit den Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbar sein soll. Dass Aserbaidschan im Unterschied zu anderen Partnerländern der EaP noch kein Mitglied der WTO ist, beschränkt allerdings seinen Zugang zu einer Freihandelszone.

Das Aserbaidschan, mit dem Europa heute zu tun hat, ist nicht mehr mit dem Land zu vergleichen, das 1991 unabhängig wurde. In den ersten Jahren seiner Unabhängigkeit war es mit innenpolitischen Turbulenzen, einem Krieg mit Armenien und rasanter Wirtschaftsschrumpfung konfrontiert. Seine wirtschaftliche Bedeutung rückt das Land in den Mittelpunkt internationaler Aufmerksamkeit für den Südkaukasus und damit in eine Position, die in politischer Hinsicht zuvor Georgien eingenommen hat. Damit geht ein steigendes Selbstbewusstsein der Machtelite in Baku einher, die sich gegen auswärtige Kritik an politischen Reformdefiziten verschließt. »Aserbaidschans Politik basiert nicht auf Vorschriften des Auslandes«, gab im Januar 2009 der Leiter der Abteilung für politische Öffentlichkeit in der Präsidialverwaltung in Baku Verfassern von Jahresberichten internationaler Organisationen zu verstehen, die gravierende Verschlechterungen in der Menschenrechtsbilanz festgestellt hatten. Ähnlich wie in Russland und Kasachstan bilden in Aserbaidschan Wirtschaftswachstum, Armutsreduktion und die Sicherung vordergründiger politischer Stabilität die Legitimationsgrundlage für ein zentralisiertes präsidentielles Herrschaftssystem, das Freiheits- und Partizipationsrechte der Bürger deutlich einschränkt.

Energiepartner Europas

Im Mittelpunkt der Wirtschaft und des Außenhandels steht der Energiesektor, der 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und den Großteil der Exporteinnahmen beisteuert. Im ersten nachsowjetischen Jahrzehnt konzentrierte sich das westliche Interesse auf Erdöl und seinen Export über das erste große strategische Pipelineprojekt aus dem kaspischen Raum, die Route von Baku über Tiflis nach Ceyhan (BTC) an die türkische Mittelmeerküste. Gegenwärtig gilt das Interesse Europas vor allem dem Export von Erdgas über einen Südlichen Transportkorridor. Die EU-Kommission favorisiert hier als Zubringer eine gut 3300 km lange Landpipeline vom Kaspischen Meer über den Südkaukasus, die Türkei und Südosteuropa nach Österreich (Nabucco-Projekt). Über diese Pipeline sollen im Endausbau 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich nach Europa gebracht werden, was rund zehn Prozent der künftigen Erdgasimporte der EU entsprechen würde. Konkurrenten sind drei kleinere Projekte von Unterwasserpipelines. Die noch offene, allerdings entscheidende Frage ist, welche Lieferländer die zukünftige Pipeline mit Erdgas speisen werden. Neben Aserbaidschan kom- men hier vor allem Turkmenistan, aber auch Irak in Betracht. Die Projektbetreiber verhandeln derzeit in Konkurrenz mit Russland vor allem über die Lieferung von Erdgas aus dem aserbaidschanischen Schah- Denis-II-Feld, das 2017 die Produktion aufnehmen soll und mehr als zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich bereitstellen könnte.

Als Liefer- und Transitland nimmt Aserbaidschan hier eine zentrale Stellung ein und wird seit 2004 in verschiedenen Initiativen, Programmen und Dokumenten als strategischer Energiepartner behandelt. Die Generaldirektion für Energie hat in der EU-Kommission praktisch die Führung der Politik gegenüber Aserbaidschan über- nommen. Vor Ort leitet seit Oktober 2009 ein ehemaliger Mitarbeiter des damaligen Energie-Kommissars Piebalgs die EU-Delegation in Baku.

Die gemeinsame Erklärung der EU und Aserbaidschans vom 13. Januar 2011 gilt
als Durchbruch in dieser Partnerschaft. Aserbaidschan verpflichtete sich, langfristig ausreichende Mengen Erdgas für den Südlichen Transportkorridor zur Verfügung zu stellen. Dem schreiben einige Regionalexperten geopolitische Bedeutung zu: Aserbaidschans Einfluss in Europa sei damit ebenso gestiegen wie seine Bedeutung als Regionalmacht und Brücke zwischen dem östlichen Nachbarschaftsraum der EU und Zentralasien. Dabei ist die Erklärung vorläufig nicht sehr viel mehr als die politische Absegnung des Südlichen Korridors. Die kommerzielle Aushandlung und Realisierung der Pipelineprojekte stehen noch aus. Aserbaidschan behält sich vor, seine Energieprodukte über mehrere Exportrouten auf verschiedene Märkte zu bringen, darunter auch nach Russland.

Mitunter entsteht der Eindruck, die europäische Energieversorgung und die Überwindung ihrer Abhängigkeit vom Hauptlieferland Russland seien schicksalhaft vom kaspischen Raum und dort insbesondere von Aserbaidschan abhängig. Nabucco, Hauptprojekt für den Südlichen Korridor, wird den ohnehin schon erheblichen Grad der Diversifizierung europäischer Gasimporte weiter erhöhen, woraus aber noch keine existentielle Abhängigkeit Europas von kaspischen Lieferanten und Transitländern entsteht. Die starke Betonung der Energiefrage verleitet Aserbaidschan indes dazu, sich gegenüber seinen europäischen Partnern in einer Geberrolle zu wähnen und sich gegen Kritik an seiner politischen Reformbilanz zu wappnen, weil es Europa in der Position des Energieabhängigen wahrnimmt. Dabei betonen aserbaidschanische Politiker durchaus, dass ihr Land in den nächsten Jahren seine hohe Wachstumsabhängigkeit vom Energiesektor überwinden und seine Wirtschaft diversifizieren und modernisieren muss, zumal zumindest die Erdölförderung sehr bald ihren Gipfel überschritten haben wird. Gelingt diese Umsteuerung nicht, wird Aserbaidschan Kurs auf eine völlig rohstoffabhängige Wirtschaft und Staatlichkeit nehmen. Die starke Fixierung auf die Energiepartnerschaft Brüssels und Bakus als dem herausragenden Feld gemeinsamen Interesses unterstützt eine solche Entwicklung.

Brüssel konfrontiert Aserbaidschan zwar mit einer breiteren Skala von Erwartungen, die Reformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft betreffen. Von einem gemeinsamen Interesse, wie es in der Energiepartnerschaft von beiden Seiten bekundet wird, kann hier aber nur mit Einschränkungen die Rede sein. Zu den Kooperationsthemen, an denen auch die aserbaidschanische Seite Interesse zeigt, gehören zum Beispiel Grenzmanagement und der Kampf gegen illegale Migration und Drogenhandel. Wohl kaum interessiert ist die politische Elite im Umfeld Präsident Ilham Alijews hingegen an jedweder Einschränkung ihrer exklusiven Machtstellung durch politische Reformen. Die Forderung nach Transparenz und Verantwortlichkeit der Regierung und nach Einhaltung der Menschenrechte kontert sie gerne mit dem Verweis auf das Nichteinmischungsgebot und darauf, dass sich eine aufstrebende Wirtschafts- und Energiemacht nicht
von außen belehren lassen müsse. Hinzu kommt, dass Aserbaidschan im Unterschied etwa zu Georgien nicht danach strebt, in absehbarer Zeit Mitglied der EU zu werden. Seine Hinwendung nach Europa bewegt sich auf weniger ambitionierten Ebenen, was europäische Möglichkeiten einschränkt, Einfluss auf politische Reformen in dem Land zu nehmen.

Menschenrechte, Regierungsführung und Zivilgesellschaft
Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) in Form der Östlichen Partnerschaft setzt gleichwohl einige Prioritäten bei politischen Reformen, die noch vor der Energie-Zusammenarbeit rangieren. So enthält der Aktionsplan, der 2006 im Rahmen der ENP mit Aserbaidschan vereinbart wurde, mehrere Reformforderungen. Sie betreffen das Justizwesen und die Verwaltung, freie und faire Wahlen, Bürgerrechte und demokratische Standards. Hier nutzte die EU Einschätzungen und Empfehlungen des Europarats und der Venedig-Kommission. Inter- nationale Menschenrechts- sowie Nichtregierungsorganisationen und Oppositionskräfte in Aserbaidschan bemängeln freilich, dass derlei Deklarationen vor der Prominenz des Energiefokus verblassen.

Im Januar 2011 blickte Aserbaidschan ebenso wie seine Nachbarstaaten Georgien und Armenien auf zehn Jahre Mitgliedschaft im Europarat zurück. Obwohl die Regierung in Baku in Konsultation mit Straßburg einige Gesetzesreformen vollzogen hat, weisen internationale Menschenrechtsorganisationen darauf hin, dass es hier nicht viel zu feiern gibt, jedenfalls keine substantiellen Fortschritte bei der Wahrung von Menschenrechten und der Durchführung von Wahlen. Als Ergebnis der letzten Parlamentswahlen im November 2010 sitzt nur noch ein einziger Vertreter einer Oppositionspartei im 125-köpfigen Parlament. Der Wahlkampf wurde auf 23 Tage verkürzt, was der vom Fernsehen bevorzugten Regierungspartei zugutekam. Zudem wurden die »administrativen Ressourcen« von der amtierenden Machtelite weidlich genutzt.

Internationale Organisationen und regimekritische Kräfte werfen der Regierung Einschränkungen bürgerlicher Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit vor, aber auch Schikanen und Angriffe gegen Oppositionskräfte und kritische Journalisten, bürokratische Willkür und Korruption. Im Transparency International »Corruption Perceptions Index« 2010 belegt Aserbaidschan unter 178 erfassten Ländern Rang 134. Im Pressefreiheitsindex der Reporter ohne Grenzen sank es von Rang 113 (unter 166 erfassten Staaten) im Jahr 2003 auf Rang 146 (von 175 erfassten Staaten) 2009. Hier schneidet Aserbaidschan also deutlich schlechter ab als in den wirtschaftsbezogenen Indizes.

Für die Entfaltung einer Zivilgesellschaft setzt der Staat nicht gerade günstige Rahmenbedingungen. Die EU beklagte denn auch die mangelnde Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Vorbereitung des ENP-Aktionsplans. Gleichwohl existieren in dem Land zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, die einschlägigen EU-Initiativen Anknüpfungspunkte bieten. Zwar sind von angeblich 3000 registrierten Gruppen allenfalls hundert aktiv und sichtbar, aber in Bereichen wie Medienrecht, Bildung, Wirtschaft, öffentliches Gesundheitswesen und Jugendarbeit zeigt sich ein unterstützungswertes zivilgesellschaftliches Engagement. Im Jahr 2009 leistete dieser Sektor Widerstand gegen das Vorhaben der Regierung, restriktive Ergänzungen am Gesetz über Nichtregierungsorganisationen einzubringen, und wurde dabei durch internationale Proteste unterstützt. In dieser Phase begann die Regierung auch damit, die Medienfreiheit im Internet einzuschränken, wo sich eine meinungsfreudige junge Gemeinde im virtuellen Raum von mehr als 25 000 Blogs bildete. Zwei junge Männer, Emin Milli und Adnan Hajizada, wurden als Opfer der staatlichen Unterdrückung dieses Sektors zu Symbolfiguren. Im November 2009 verurteilte ein Gericht die beiden zu Gefängnisstrafen wegen Rowdytums und löste damit eine internationale Welle der Solidarität mit den Bloggern aus, die schließlich aus der Haft entlassen wurden.

Dynastische Präsidialautokratie

Von der typischen Entwicklung postsowjetischer Herrschaft weicht Aserbaidschan durch eine Besonderheit ab. Hier ist nicht nur wie in vielen postsowjetischen Staaten ein ganz auf das Präsidentenamt zugeschnittenes Machtsystem etabliert worden. Vielmehr wurde ein dynastisches Prinzip in dieses System implantiert: Das Präsidentenamt wurde 2003 innerhalb der Alijew-Familie vom Vater auf den Sohn übertragen. Der letzte Schritt im Prozess der Festigung dieser dynastischen Präsidialherrschaft erfolgte im März 2009, als das Volk per Referendum über eine Reihe von Verfassungsänderungen abstimmen sollte. Unter insgesamt 41 Änderungen und Ergänzungen, die abzusegnen waren, stach eine hervor: Sie ermöglichte die unbegrenzte Wiederwahl des amtierenden Präsidenten. Das Referendum hatte nach offiziellen Angaben Erfolg, Ilham Alijew kann bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Oktober 2013 zum dritten Mal antreten. Auch mit diesem politischen Personenkult hebt sich Aserbaidschan hervor: Mit Ausnahme Turkmenistans wurde in keinem anderen nachsowjetischen Staat die Ikone des Präsidenten – vor allem der Vaterfigur Heydar Alijew – so prominent ausgestellt wie hier. Sie dient als Symbol für die Wiederherstellung und Wahrung staatlicher Stabilität, um die es in den ersten Jahren postsowjetischer Entwicklung schlecht bestellt war. Statuen Heydar Alijews wurden auch ins Ausland exportiert, unter anderem nach Ägypten. Im Gegenzug wurde eine Statue Hosni Mubaraks in einem der ägyptisch-aserbaidschanischen Freundschaft gewidmeten Park in Baku errichtet. Dort demon- strierten am 6. Februar junge Leute mit Anti-Mubarak-Parolen.

Noch stärker als in Russland wird in Aserbaidschan die frühe Phase der Unabhängigkeit und Liberalisierung mit wirtschaftlichem Niedergang und scheiternder Staatlichkeit konnotiert, dazu noch mit dem Verlust territorialer Integrität. Dementsprechend präsentiert sich die am- tierende Machtelite als Hüter von Stabilität und Prosperität. Zudem profitiert sie von einer ausgewogenen Außenpolitik, die zwischen Russland und dem Westen Balance hält und sich vor einer einseitigen Ausrichtung wie in Georgien hütet. Sie genießt bislang offenbar noch so viel Popularität, dass sie Chancen hätte, in freien Wahlen – die es seit 1993 nicht mehr gegeben hat – bestätigt zu werden.

Die Frage ist, ob sich die politische Elite um den noch relativ jungen Präsidenten Ilham Alijew längerfristig darauf verlassen kann, mit Stabilität assoziiert zu werden. Denn schließlich wird derzeit in der südlichen Nachbarschaft der EU das unverhoffte Ende der mutmaßlichen Ewigkeit »stabilitätsorientierter« Autokratie demonstriert. Ein Abgeordneter der Regierungspartei beeilte sich darauf hinzuweisen, dass die Verhältnisse in Ägypten nicht auf Aserbaidschan übertragbar seien, wo neue Arbeitsplätze geschaffen würden und von einer bedrückenden Lage der Bevölkerung keine Rede sein könne. Tatsächlich unterscheiden sich die sozialökonomischen Verhältnisse in Nordafrika mit Blick auf Jugendarbeitslosigkeit, Bildungsnotstand und andere Indikatoren in mancher Hinsicht von jenen in Aserbaidschan. Allerdings stützt sich das aserbaidschanische Wirtschaftswachstum bislang noch zu sehr auf den Energiesektor. Zwischen der Hauptstadt und dem Rest des Landes und zwischen Arm und Reich entstand ein regionales Gefälle. Einige Experten vermuten, dass der Rückgang des Wirtschaftswachstums in den nächsten Jahren diese Kluft noch vergrößern und die Regierung mit sozialen Herausforderungen kon- frontieren könnte. Zudem wurde in Tunis und Kairo nicht in erster Linie gegen Armut, sondern auch gegen Korruption und politische Missstände demonstriert. Möglicherweise waren es diese Bilder, die Präsident Alijew im Februar 2011 bewogen haben, Personalveränderungen in den Ministerien und Rechtsschutzorganen vorzunehmen und verschärfte Antikorruptionsmaßnahmen anzukündigen.

Bei der Ausprägung autoritärer Herrschaft nimmt Aserbaidschan eine Mittelstellung ein: zwischen osteuropäischen Ländern (mit Ausnahme der Diktatur in Belarus) und seinen beiden Nachbarn im Südkaukasus auf der einen Seite und zen- tralasiatischen Staaten, aus denen die Regime in Usbekistan und Turkmenistan mit ihrem repressiven Charakter herausragen, auf der anderen Seite. Im »Freedom in the World 2011«-Index figuriert es mit 6 Punkten für politische Rechte und 5 für zivile Freiheiten (1 = beste, 7 = schlechteste Note) in der Kategorie »not free«; damit ist es im GUS-Raum in etwa mit Kasachstan und Russland vergleichbar. Sein Gegner Armenien steht hier geringfügig besser

da (»partly free«: 6 Punkte für politische Rechte, 4 für zivile Freiheiten). Bis 2003 rangierte auch Aserbaidschan noch in der Kategorie »partly free«. Seit der dynastischen Machtübertragung bei den Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2003 und der anschließenden brutalen Niederwerfung von Demonstrationen gegen Wahlfälschung verhärtete sich jedoch das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition. 2008 folgte die Regierung zwar zumindest formal Empfehlungen der Venedig-Kommission und der EU und beschloss Verbesserungen in der Wahlgesetzgebung und in anderen Bereichen. Doch 2009 kam dann der »autokratische Rückschlag« mit dem Verfassungsreferendum. Die politische Opposition, die hier im Unterschied zu Staaten wie Usbekistan immerhin existiert, stellt für die amtierende Machtelite keine ernsthafte Herausforderung dar. Wie in vielen postsowjetischen Staaten tritt sie nicht geschlossen und mit einem überzeugenden politischen Programm auf. Momentan zeigt die älteste und bedeutendste Oppositionspartei »Musavat« Zerfallserscheinungen, wie zuvor schon die übrigen Parteien. Bei der Bewertung der Opposition ist jedoch stets in Rechnung zu stellen, dass die politische Machtelite eben auch Rahmenbedingungen setzt, unter denen sich regierungskritische Kräfte nicht entfalten können.

Breiteres Interesse an Aserbaidschan
Europäisches Interesse sollte über den Energiesektor und die Würdigung Aserbaidschans als wirtschaftliche Regionalmacht im Südkaukasus deutlich hinaus- gehen. Für die Zukunftsperspektive des Landes und der gesamten Region fällt vor allem der ungelöste Konflikt um Berg-Karabach ins Gewicht. Der Hoffnung, dass nach dem Fünftage-Krieg zwischen Georgien und Russland von 2008 in dem benachbarten Konfliktfeld ein Durchbruch zu einer politischen Lösung erzielt werden könnte, ist trotz intensivierter Vermittlung Ernüchterung gewichen. Dass Territorialkonflikte im Südkaukasus die internationale Politik erheblich stören können, zeigte der OSZE- Gipfel in Astana im Dezember 2010. Dort scheiterte ein gemeinsamer Aktionsplan

an Streitigkeiten über ungelöste Sezessionskonflikte. Die Stagnation in der Bearbeitung des Berg-Karabachkonflikts hat Konsequenzen für die Östliche Partnerschaft, die neben der bilateralen Dimension ausdrücklich auch auf multilaterale und regionale Kooperation setzt. Während Baku die bilaterale Zusammenarbeit mit der EU begrüßt, lehnt es multilaterale und regionale Initiativen ab, die ihm abverlangen, mit Armenien zu kooperieren.

Die mit dem Karabachkonflikt verbundene Herausforderung lässt sich anhand einiger Besonderheiten eindringlich illustrieren. Die knapp 180 km lange Waffenstillstandslinie von 1994 wird von keiner internationalen Organisation beobachtet, abgesehen von einem winzigen Team (sechs Mann) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), das sich hin und wieder dorthin begibt. An dieser Linie haben sich im Jahr 2010 Gewaltzwischenfälle gehäuft wie seit langem nicht mehr und die Gefahr unkalkulierbarer Eskalation, eines »accidental war« heraufbeschworen. Der militärische Kontext ist brisant. Aserbaidschan hat seine Militärausgaben unter Präsident Ilham Alijew seit 2003 um das Zwanzigfache erhöht. 2011 wird der Militäretat, der bereits zwanzig Prozent des Republikhaushalts ausmacht und den Gesamthaushalt Armeniens längst überholt hat, die Schwelle von drei Milliarden US-Dollar überschreiten. Aserbaidschan schickt sich an, eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen. Die Aufrüstung wird von Drohungen begleitet, den Konflikt notfalls militärisch zu lösen, sollte sich nicht bald eine diplomatische Regelung abzeichnen und Armenien Kompromissbereitschaft zeigen. 2010 hat Präsident Alijew in mindestens neun öffentlichen Reden auf die militärische Option verwiesen. Die armenische Seite hält dagegen, sie sei auf Krieg vorbereitet, und droht mit der diplomatischen Anerkennung Berg-Karabachs. In dem umstrittenen Gebiet wurden zuletzt die größten militärischen Manöver der Karabach-Streitkräfte seit langem abgehalten. Sie sollen höchste Abwehrbereitschaft der dortigen Bevölkerung (knapp 150 000 Einwohner) signalisieren. Ein neuerlicher Krieg würde die gesamte Region erschüttern und die Pläne für den Südlichen Korridor durchkreuzen. Obwohl Aserbaidschan rasant aufrüstet, wäre eine militärische Auseinandersetzung mit Armenien kein asymmetrischer Konflikt wie der russisch- georgische Krieg vom August 2008 und würde weit länger als fünf Tage dauern.

In diesem Konflikt geht es territorial nicht nur um das eigentliche Sezessionssubjekt: die von keinem Staat der Welt, auch nicht von Armenien, diplomatisch anerkannte Republik Berg-Karabach. Es geht auch um sieben aserbaidschanische Provinzen in ihrer Umgebung, die bis heute von armenischen Truppen besetzt sind. Hunderttausende Menschen wurden von dort vertrieben und leben seit fast zwanzig Jahren unter prekären Bedingungen in Aserbaidschan. Der Abzug armenischer Truppen aus diesen Territorien wird international gefordert, aber durch die aserbaidschanischen Kriegsdrohungen nicht gerade gefördert. Armenien beansprucht die sieben Provinzen als »Sicherheitszone« für Berg-Karabach bis zur endgültigen Klärung der Statusfrage, was eine schrittweise Lösung des Konflikts behindert. Die EU und die internationale Gemeinschaft müssen hier konsequent und mit klarer Adresse militärische Drohungen zurückweisen und ein für die Sicherheit Berg-Karabachs verlässliches Peacekeeping anbieten. Sie könnten dann umso größeren Nachdruck auf einen armenischen Truppenabzug aus der Umgebung Berg-Karabachs als erste entscheidende Etappe eines Friedensfahrplans legen. Im Unterschied zu Georgien, wo die EU durch ihre Beobachtungsmission an den administrativen Grenzen zu Abchasien und Südossetien ihre Position als Instanz der Konfliktbearbeitung gestärkt hat, ist sie im Karabachkonflikt weitgehend abwesend. Diese Abwesenheit begründet sie damit, dass hier andere Organisationen – gemeint ist die OSZE – involviert sind. Von den Konfliktparteien wird sie als neutraler Akteur aber zunehmend gewünscht.

Ein breiteres Interesse an Aserbaidschan sollte auch dem Verhältnis zwischen Staat und Religion gelten. Aserbaidschan hat seit dem 19. Jahrhundert ein Beispiel für die Vereinbarkeit von islamischem Kulturerbe mit Säkularisierung und Modernisierung gegeben. Hier leben nicht nur islamische, christliche und jüdische Glaubensgemeinschaften in weitgehend friedlicher Koexistenz. Auch der Umgang der schiitischen Mehrheit mit der sunnitischen Minderheit ist nahezu konfliktfrei. Ungefährdet ist dieser Zustand aber nicht. Wie in anderen postsowjetischen Gesellschaften existieren politisierte religiöse Herausforderungen, die teilweise von außen an das Land herangetragen werden. Seit Dezember 2010 hat sich in Aserbaidschan eine Auseinandersetzung über ein Verschleierungsverbot für Schülerinnen zugespitzt, in die sich Stimmen aus dem Iran einmischen. Der Führer einer verbotenen islamischen Partei Aserbaidschans rief zum Widerstand gegen die politischen Machtstrukturen auf. Die Frage ist, ob der Staat angemessen auf solche Herausforderungen reagiert. In den vergangenen Monaten wurden Moscheen von den Behörden geschlossen oder zerstört, weil sie angeblich baufällig oder illegal waren. Der Staat verschärft die Kontrolle über die religiösen Aktivitäten in der Bevölkerung, die in nachsowjetischer Zeit reger geworden sind. Er muss aber sehr darauf achten, dass er mit solchen Maßnahmen einer Radikalisierung und Politisierung religiöser »Wiedergeburt« nicht noch Vorschub leistet. In einem Land wie Usbekistan wurde die Konfrontation zwischen Regierung und islamistischer Opposition nicht zuletzt durch repressive Maßnahmen der Behörden angeheizt. Staat und Gesellschaft Aserbaidschans sind zwar in einem Säkularismus verwurzelt, der noch aus vorsowjetischer Zeit datiert, aber auch hier bietet die nach-sowjetische Entwicklung mit Korruption, bürokratischer Willkür und der Marginalisierung säkularer Opposition Angriffsflächen für islamistische Kräfte.

Ausblick

Es ist legitim, Energiepartnerschaft als einen Kern europäischer Interessenwahrnehmung im Südkaukasus hervorzuheben. Doch eine einseitige Fokussierung auf dieses Kooperationsfeld wird weder Aserbaidschan noch seinen Beziehungen zu Europa gerecht. Mit seinen Entwicklungschancen, Problemen und Sicherheitsherausforderungen ist das Land mehr als nur ein strategischer Partner Europas auf diesem Feld. Kritiker haben wiederholt moniert, dass Fragen der Konfliktbearbeitung im Südkaukasus trotz ihrer sicherheitspolitischen Bedeutung in Stellungnahmen aus Brüssel hinter Energiethemen zurückstehen. Dabei tangieren die ungelösten Regionalkonflikte letztlich alle übrigen Politikfelder und Entwicklungsperspektiven – die Aussicht auf eine Liberalisierung der politischen Systeme im Südkaukasus ebenso wie die Stabilität und Funktionsfähigkeit des von Europa gewünschten südlichen Transitkorridors.
Bei der Vermittlung breiteren Interesses an Politik, Gesellschaft und Kultur Aserbaidschans könnte Deutschland eine wichtige Rolle spielen. Es pflegt Kulturbeziehungen zu dem Land, in dem im 19. Jahr- hundert deutsche Siedler lebten. Seine Wirtschaftsbeziehungen zu Aserbaidschan beschränken sich nicht auf den Energiesektor. Deutschland ist in der EU-Beobachtungsmission in Georgien (EUMM) stark vertreten. Es könnte auch dazu beitragen, Europa stärker auf die Herausforderung aufmerksam zu machen, die mit dem ungelösten Karabachkonflikt verbunden ist.